Attac-Themenabend März: Die Bewegung der „Gelbwesten“ in Frankreich
Mit Sebastian Chwala, Politikwissenschaftler aus Marburg
Dienstag, 26. März 2019, 20 Uhr
Tübingen, Schlatterhaus, Österbergstr. 2
Die Bewegung der Gilets Jaunes („Gelbwesten“) begann im Herbst mit Protesten gegen geplante Benzinpreiserhöhungen. Schnell weitete sie sich jedoch aus zu einer Massenbewegung gegen die gesamte neoliberale Reformpolitik des 2017 gewählten Präsidenten Emmanuel Macron. Dabei bietet die Bewegung ein widersprüchliches Bild. Zeitweilig versuchte der rechtgerichtete „Rasssemblement National“ (ehemals Front National) Teile der Bewegung zu vereinnahmen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Das Verhältnis der Gilets Jaunes zu den Gewerkschaften ist widersprüchlich und in Teilen ablehnend (während es zugleich in einigen Städten wie Toulouse inzwischen zu gemeinsamen Mobilisierungen kommt). Ein großer Teil der Akteure sieht sich weder als links noch rechts und viele nehmen erstmalig in ihrem Leben an Demonstrationen teil.
Nach anfänglichem Schweigen der Regierung scheinen Macron und seine Führungsriege zu einer Doppelstrategie übergegangen zu sein, um die Gilets Jaunes zu schwächen. Einerseits wurden erstmalig seit der Wahl des ehemaligen Investmentbankers Macron Zugeständnisse an die Protestbewegung gemacht. Andererseits wird mit extremer Gewalt gegen die Demonstrationen vorgegangen. Die Gendarmerie und die Aufstandsbekämpfungseinheit CRS verwenden neben Schlagstöcken und Tränengas regelmäßig auch Panzer und Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten sowie Granaten um protestierende Mengen der Gilets Jaunes auseinanderzutreiben. Neben tausenden von Verhaftungen und Verurteilungen durch Schnellgerichte auf zweifelhafter Rechtsgrundlage sind ebenfalls mehrere tausend teils Schwerverletzte in den Reihen der Gilets Jaunes zu beklagen sowie mindestens 12 Tote.
Bei der Betrachtung der aktuellen sozialen Kämpfe in Frankreich stellen sich für uns viele Fragen: Worin besteht die soziale Basis der Gilets Jaunes und wohin treibt die Bewegung? Woher kommt die große Wut, die sich bei den Protesten immer wieder entlädt? Gibt es eine reale Perspektive der Verknüpfung ihrer Proteste mit den zeitgleich angelaufenen Protestbewegungen der SchülerInnen und Studierenden gegen den neoliberalen Umbau des Bildungssystems sowie mit den Protestaktionen der Gewerkschaften? Warum bleibt es bislang angesichts der gesellschaftlichen Erschütterungen in Frankreich so auffällig ruhig in den Banlieues der großen Städte, wo es in den letzten 20 Jahren immer wieder große Unruhen gegeben hatte? Sind die Gilets Jaunes mit ihrer scheinbaren politischen Unbestimmtheit ein letztes Rückzugsgefecht der großen Bewegungen der französischen ArbeiterInnenklasse oder politisiert sich hier eine neue Generation von rebellischen Lohnabhängigen?
Sebastian Chwala ist Politikwissenschaftler aus Marburg, der die Bewegung seit Anbeginn genau beobachtet und viele Materialien aus Frankreich dem deutschsprachigen Publikum zur Verfügung gestellt hat. Er hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, bei uns über die Gilets Jaunes und ihren Hintergrund zu referieren, unsere Fragen dazu zu beantworten und die politischen Perspektiven der Bewegungen in Frankreich mit uns zu diskutieren.
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