Attac Tübingen-Reutlingen, DGB Kreisverband Tübingen, Verdi Ortsverein Tübingen, Critical Mass Tübingen und ZAK³ – Gruppe gegen Kapitalismus, Krieg und Kohlendioxid riefen am 11. Oktober zu einer Kundgebubg für eine sozial-ökologische Verkehrswende auf. Hier finden sich nun die Reden und ein TV-Beitrag von rtf1:


Eröffnungsrede von Heiner Lempp, Attac Tü-Rt:

Heraklit: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ – im Gegenteil: aktuell: der Angriff Russlands auf die Ukraine bremst und überdeckt alles, was für die Klimapolitik nötig wäre. Der Krieg ist der größte Klimakiller .Der Krieg macht aus einem „Klimaminister“ einen Flüssig- und frackinggaseinkäufer und Verlängerer von Kohleverbrennung.
Und: durch den Krieg bleibt unter dem Aufmerksamkeitsradar, dass die Ampel-Regierung, vor 1 Jahr als „Klimakabinett“ gestartet, im Hinblick auf eine Verkehrs- und Mobilitätswende so gut wie nichts zustande gebracht hat. Vor einem Jahr wurde immerhin darüber gesprochen, dass der Verkehr im Ggs zu Energieerzeugung, zum Bauen und gar zur Industrie noch gar, gar nichts zur Einhaltung der Klimaziele beigetragen hatte – kein Wunder allerdings, nachdem das Verkehrsresort über Jahre die erste Stufe der Karriereleiter von Generalsekretären der CSU war.
Und jetzt – nach einem Jahr, nun ja Volker Wissing (FDP) : Tankrabatt der – soweit er nicht von den Ölkonzernen abgezweigt wird, den Spritsaufenden Groß-Autos am meisten nützt. Weiterhin Subventionierung von Dienstwagen durch die SteuerzahlerIn und auch da: je teurer um so lohnender. Weiterhin „freie Fahrt für freie Bürger“ auf den Autobahnen. Weiterhin Diesel- und Kerosin-Privileg.
Bei der Bahn: das Strohfeuer des 9-Euro-Tickets, ausgetragen auf dem Rücken der MitarbeiterInnen der Regionalverkehre; ohne Konzept für eine Begleitung, sinnvolle Auswertung und kluge Weiterführung. Die Pünktlichkeits-Statistik eine Lach- oder besser Heul-Nummer. Und auch die „Begründungen“ der Bahndurchsagen für Verspätungen und verpasste Anschlüsse nur noch als Witzesammlung tauglich. Alles späte aber absehbare Folgen einer „Bahnreform“ 1994, die die Bahn für den Aktienmarkt tauglich machen sollte statt für die Grundversorgung an Mobilität für die BürgerInnen.
DAHER : Trotz Krieg und gerade wegen seiner Folgen auch für das Klima: wir müssen das Thema einer sozialökologischen Verkehrswende wieder über den Aufmerksamkeitsradar anheben – daher diese Kundgebung; daher heute abend die Veranstaltung mit Winfried Wolf von „ProBahn“ und „Bahn in Bürgerhand“.

Rede von Florian Späth, EVG/DGB
Hallo,
ich grüße alle hier Versammelten im Namen des DGB KV Tü der Verkehrsgewerkschaft EVG und vieler im Verkehrssektor Beschäftigten!
In meinem Redebeitrag möchte ich die Forderungen von attac aus der Perspektive eines bei der DB beschäftigten FDL betrachten und mit euch teilen.
Die Bahn wird als wichtiger Faktor bei der Überwindung des motorisierten Individualverkehrs gesehen. Größtenteils wird diese Sicht auch von meinem Kollegium geteilt. Die vielen sich auch ökologisch auswirkenden Vorteile des Schienenverkehrs waren bei vielen von uns letztendlich auch ausschlaggebend für die Berufswahl Wir unterstützen den Rückbau des motor. Indiv.-Verkehrs und den Ausbau eines klimaneutralen gemeinwirtschaftlichen Verkehrssystems. Durch das 9-EU-Ticket konnten wir sehen, dass ein nahtloser und günstiger ÖPNV von vielen gut angenommen wird. Allerdings fehlte hier für eine nachhaltige Etablierung die Bereitstellung von mehr gut ausgebildetem Personal und besseren Arbeitsbedingungen und der Schaffung besserer Infrastruktur und Fahrzeugen. Hinzu kommen erschwerend weitere Probleme die Erreichung des Ziels des nachhaltigen ÖPNV-Ausbaus: Oft führt sogar Neubau zu einem Rückbau; nachher stehen weniger Gleise zur Verfügung als vorher.
In diesem Vortrag geht es mir nun darum einerseits Probleme zu benennen wie sie sich in zahlreichen Gesprächen mit KollegInnen ergaben. Auch Forderungen speziell aus MA Sicht soll hier Raum gegeben werden. Sie gehören unterschiedl. Funktionsgruppen im Bahnbetrieb an, trotzdem ist mir wichtig, zu betonen, dass ich mich als der hier Vortragende aus einer sehr spezifischen Sicht, der Perspektive der operativen Zugsteuerung, äußere.

Aus unserer Sicht bestehen 3 zentrale Problemfelder: die Trennung von Netz und Betrieb, die Gewinnorientierung und der Modus des Schienen-Netz-Ausbaus. Auf diese gehe ich nun folgend konkreter ein:
1. Die Trennung von Netz und Betrieb:
Die durch die Bahn-Reform 1994 erzwungene Spaltung der DB, sowie der Druck durch EU-Vorgaben, das Eisenbahnsystem für private Mitbewerber zu öffnen, führt zu zahlreichen Problemen bei der konkreten Betriebsabwicklung. Es ist ein Dienstleistungs-Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Verkehrsunternehmen wie der DB Netz und der SWEG entstanden, welches nicht zu grundlegenden Funktionsweisen des Bahnsystem passt. Schuldzuweisungen mit monetären Konsequenzen und Teillösungen bei Konflikten ohne Probleme wirklich anzugehen, sind die Folge. Informationsweitergabe durch z.B. geteilte technische Lösungen werden zunehmend abgebaut. Für Reisende zeigen sich diese Probleme insbesondere bei nicht mehr vorhandenen Anschlussregelungen im Verspätungsfall, Schwierigkeiten beim Fahrscheinkauf und Probleme beim Wahrnehmen von Fahrgastrechten.
2. Gewinnorientierung:
Die Gewinnorientierung im Bereich des Netzes führt zu zahlreichen Zielkonflikten. Die Unternehmen, die am meisten zahlen, erhalten Vorfahrt- egal welche Transporte zu welchem Zweck durchgeführt werden sollen. Dies führt lokal teils zur Vernachlässigung des Personenverkehrs, anderenorts wiederum zur Vernachlässigung des Güterverkehrs. Apropos Güterverkehr: Hier werden z.B. Transporte für die Automobilindustrie und die karbonisierte Energiewirtschaft priorisiert. An diesen Beispielen sieht man, dass diese marktorientierte Verkehrssteuerung sozial-ökologischen Zielen widerspricht. Gerade hier brauchen wir dringend ein Umdenken hin zur Gemeinwohlorientierung. Jüngst erreichen uns auch Gerüchte über einen starken Personalabbau bei DB Cargo. Wir wollen auch mehr Güterverkehr auf der Schiene!

3. Modus des Schienen-Netz-Ausbaus:
Was den Ausbau des Schienen-Netz-Systems angeht, sehen wir Probleme, die durch die einfache Bereitstellung finanzieller Mittel nicht zu lösen sind. Bereitgestellte Gelder werden anstatt für den realen Ausbau neuer Verbindungen in Lärmschutzwände und die Digitalisierung von Steuerungstechniken gesteckt. Durch diese Maßnahmen werden der Öffentlichkeit Kapazitätssteigerungen zugesprochen, die aus unserer Sicht aber dadurch nicht erreicht werden können. Im Gegenteil: bei einem technischen Störungsfall muss sogar teilweise der Bahnbetrieb großräumig eingestellt werden. Der Sabotageakt vom Samstag zeigt hier diese Probleme ganz gut auf.
Ein weiteres Problem ist die schlechte Bau- und Betriebsplanung. Es gibt zu viele und zu lange Bauphasen zu wenige Verbesserungen. Ein krasses Missverhältnis von Input und Output ist leider an der Tagesordnung. Der Betrieb im Hier und Jetzt wird für eine vermeintlich „optimierte“ Bahn geopfert. Uns ist klar, dass zu lange zu wenig investiert und instandgehalten wurde, aber wir wollen eine Verkehrswende jetzt und nicht in vielleicht 10 oder 20 Jahren. Die Forderungen, die diesbezüglich vom jetzigen Bundesverkehrsminister gemacht werden, führen in die falsche Richtung.

Was wollen wir?
Unter diesen Bedingungen leiden auch wir als Beschäftigte, was dazu führt, dass viele den Beruf schnell aufgeben, die Fluktuation ist sehr hoch. Der Wechselschichtdienst ist u.a. einer der Hauptgründe für das frühzeitige Ausscheiden aus dem Beruf. Wir fordern eine Überarbeitung der bisherigen Schichtmodelle und Verbesserungen bei der Zuweisung zu Tätigkeitsstätten. Dies betrifft Anfahrtswege, Teamzusammenstellung und Berücksichtigung des persönlichen Leistungsvermögens. Ein weiterer Punkt ist natürlich die Bezahlung. Wichtiger als eine Erhöhung des Tabellenentgeltes ist uns eine erhebliche Erhöhung der Schichtzulagen. Wir fordern, dass dies bei den künftigen Tarifverhandlungen ausführlich diskutiert wird.
Ganz allgemein fordern wir auch die Demokratisierung des Straßenverkehrs hinsichtlich des freien Zugangs für Radfahrer und Fußgänger, das Bereitstellen von Wohnraum in Arbeitsnähe, die Verbesserung der Tarifstruktur im ÖPNV, heißt: deutlich weniger Tarifverbünde und günstigere Tickets. Das 9- EU-T. weist hier in die richtige Richtung, auch wenn die konkreten Folgen von vielen Beschäftigten kritisch gesehen wurden. Wir brauchen einfach mehr und bessere Züge, ein besseres Baumanagement und natürlich mehr Personal. Allerdings sehen und hören wir tagtäglich, dass auch ein tiefgreifender Mentalitätswandel bei den Beschäftigten selbst erfolgen muss, wenn die Verkehrswende gelingen soll: zu wenige nutzen den Öffi auch selbst. Der automobile Mythos scheint in allen Bereichen von der Führung über Betriebsräte bis zum ausführenden Personal immer noch fest verankert. Der automobile Indiv.-Verkehr steht heutzutage nicht mehr für Freiheit, sondern für die bevorstehende Apokalypse. Wir fordern, dass Dienstpläne so angepasst werden, dass Auto-freies Leben und Arbeiten möglich wird. Zusätzlich muss eine sozial-ökologischere Ausrichtung der Aus- und Fortbildungsinhalte erfolgen und Gemeinwohlorientierung des öffentlichen Mobilitätssystems fokussiert werden.
Vieles mehr an Problembeschreibungen, Erklärungsansätzen und Forderungen wären noch zu nennen, trotzdem möchte ich hier schließen, um den Rahmen nicht zu sprengen. Mitgeben möchte ich noch, dass viele politisch bewusste Eisenbahner an der Seite der zivilgesellschaftlichen Akteure bei der Durchsetzung einer sozial-ökologischen Verkehrswende stehen und unseren Beitrag leisten.

Rede von Frederico Elwing, ver.di Ortsverein Tübingen

Das #9EuroTicket ist ein Erfolgsmodell. Die massenhafte Nutzung zeigt zugleich den hohen Bedarf an bezahlbaren Bus- und Bahnverbindungen und die Vorzüge eines einfachen Tickets, das ohne einen Tarif-Dschungel aus den Gültigkeitsbereichen zahlloser Verkehrsverbünde auskommt. Viele Menschen sind vom Auto auf den öffentlichen #Verkehr umgestiegen, für Fahrten zum Arbeitsplatz wie für Ausflüge am Wochenende. Auch wer wenig Geld hat, ist mit dem 9-Euro-Ticket mobil. Die hohe Nachfrage brachte den ÖPNV jedoch auch an seine Kapazitätsgrenzen – und lief überall dort ins Leere, wo faktisch weder Bus noch Bahn fährt. Weder die Infrastruktur noch das Angebot waren der Nachfrage gewachsen!

Das Bündnis „ÖPNV braucht Zukunft“ fordert Bund und Länder auf, umzulenken: Das Angebot im öffentlichen Verkehr muss besser und barrierefrei werden, damit mehr Menschen dauerhaft das #Auto stehenlassen und auf #Bahn & #Bus umsteigen. Außerdem brauchen wir ein einfaches und günstiges Preissystem!

Die Verkehrsministerkonferenz hat letztes Jahr das Ziel ausgegeben, die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln. Das kann nur gelingen, wenn das Angebot – vor allem auf dem Land – schnell ausgebaut wird und Bund und Länder ausreichend Geld zur Verfügung stellen:

Für ein dichteres Schienennetz, mehr Bus- und Bahnverbindungen, moderne Fahrzeuge, eine leistungsfähige Infrastruktur und ausreichend neues Personal zu attraktiven Arbeitsbedingungen!

Rede von Sigge Gack, ZAK^3

TüBus umsonst! Im April 2008 starteten wir, unsere Kampagne.

Wie die Zeit vergeht. Mit dem 9 Euro-Ticket ist wieder eine neue Dynamik entstanden. Immerhin fahren die Busse in Tübingen SAMStags zum Nulltarif.

Deshalb fordert SAMS: Jeder Tag soll Samstags sein. Warum?

Mobilität ist ein Grundrecht. Für alle. Aber so wie sie organisiert ist, rasen wir klimapolitisch gegen die Wand und immer mehr Menschen mit geringem Einkommen werden durch die teuren Ticketpreise von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Ein Nulltarif im Öffentlichen Nahverkehr wäre ein Beitrag zur Lösung der sozialen Krise. Verbunden mit dem Ausbau des Angebots wirkt er als Pull-Faktor, der die Leute vom Auto in den Nahverkehr „zieht“. Die Verkehrswende, weg vom Verbrennungsmotor kann allerdings nur gelingen, wenn auch Push-Faktoren den Umstieg beschleunigen um die Klimaziele zu erreichen. Die Nutzung des Autos muss unattraktiver und teurer werden (z.B. Streichung der Dieselsubventionen, Fahrverbote, Tempolimits, Verzicht auf Straßenausbau etc.). Eine wirksame Reduzierung des Autoverkehrs würde sehr schnell die CO2 Emission reduzieren

Solange noch Strom aus Kohle, Gas und AKWS gewonnen wird, und solange die Akku-Produktion neokoloniale Rohstoffprobleme verursacht, kann auch Elektromobilität die Verkehrsprobleme nicht lösen.

Um die Lebensqualität in der Stadt zu erhöhen, brauchen wir weniger Autoverkehr. Straßen und Plätze würden als öffentlicher Raum zurückgewonnen.

Ein ticketfreier ÖPNV lässt sich solidarisch finanzieren, aus Steuermitteln. Für einen Teil könnte auch eine Umlage beitragen. Die müssten sozial gestaffelt sein:

Wer viel hat zahlt viel, wer wenig hat zahlt wenig, wer noch weniger hat zahlt nichts.

Dazu braucht es aber ein Landesgesetz! So könnte aus „TüBus umsonst“ ein Modell für den gesamten Verkehrsverbund – und fürs ganze Land – werden.